Vermögensverwalter und Anlageberater schröpfen ihre Kunden: 
Durch häufiges Umschichten der Depots 
verdienen sie gleich mehrfach an den Provisionen

Der Mann aus Baden-Württemberg war vertrauensselig. Immer wenn das Telefon klingelte und sein Vermögensverwalter ihm Vorschläge unterbreitete, wie er das Wertpapierdepot seines Kunden umschichten könne, gab der Mann sein Okay. Misstrauen schien unnötig, schließlich handelte es sich um einen Angestellten der renommierten US-Investmentbank Merrill Lynch.

Nach fünf Jahren erlebte der Mann ein böses Erwachen. Von den rund 600.000 DM, die er investiert hatte, waren nur noch Aktien im Wert von gut 16.000 DM übrig. Ein großer Teil des Geldes war nicht durch Kursverluste verloren gegangen, sondern als Provision an die Bank geflossen. An jeder Transaktion hatte der Vermögensverwalter mitverdient. Der Kunde zog vor Gericht, doch zurück hat er sein Geld bis heute nicht. Das Verfahren liegt jetzt beim Oberlandesgericht Frankfurt, das über Schadenersatz entscheiden soll.

Provisionsschinderei

Die Klage gegen eine Großbank wie Merrill Lynch ist in Deutschland noch eine Ausnahme. Provisionsschinderei, auch Churning genannt, galt lange als ein Phänomen des grauen Kapitalmarktes, auf dem halbseidene Unternehmen mit riskanten Geschäften Traumrenditen versprechen. Die wirklich dreisten Fälle sind selten geworden, seitdem die Wertpapieraufsicht die Finanzdienstleistungsunternehmen überwacht und eine Zulassung zur Pflicht geworden ist.

Experten warnen jedoch davor, dass inzwischen auch Vermögensverwalter und Anlageberater großer Banken Provisionsschinderei betreiben. Nachdem viele Kleinanleger ihr Sparbuch gekündigt haben und nun Aktien oder Fondsanteile kaufen, hat das Wertpapiergeschäft für die Banken an Bedeutung gewonnen. Für die Kreditinstitute ist es nur dann profitabel, wenn die Kunden möglichst häufig kaufen und verkaufen und damit Provisionen fällig werden. "Der knallharte Vertriebsdruck bei den Banken verleitet die Mitarbeiter zur Provisionsschinderei", sagt Dietmar Vogelsang, Sachverständiger für Kapitalanlagen in Bad Homburg. Karriere macht in den Beratungsabteilungen der Kreditinstitute nur der Angestellte, bei dem der Umsatz stimmt. Zudem sind die Mitarbeiter fast immer direkt an den Provisionen für Wertpapiergeschäfte beteiligt.

Timing mit Trick

Für die Anlageberater und Vermögensverwalter ist es ein Leichtes, immer wieder Gründe für eine häufige Umschichtung der Depots zu finden. Ein beliebter Trick: Kurz vor Veröffentlichung der US-Wirtschaftszahlen kaufen sie Aktien, von denen sie wissen, dass die Kurse auf Konjunkturveränderungen reagieren werden. Egal ob die Zahlen dann positiv oder negativ ausfallen - immer gibt es einen Grund für weitere Transaktionen. Fällt der Kurs, kann der Berater sie gleich wieder verkaufen. Steigt der Kurs, ist das ein Grund, die Position weiter aufzustocken und vorher andere Papiere zu verkaufen.

Auch bei unabhängigen Vermögensverwaltern, die nicht Angestellte einer Bank sind, sollten die Anleger vorsichtig sein. Die Berater machten oftmals gemeinsame Sache mit einem Broker, warnt Sachverständiger Vogelsang. Neben den Gebühren für den Verwalter berechnet in diesem Fall auch der Händler überhöhte Provisionen, der die Geschäfte an der Börse abwickelt. Den Gewinn teilen sich dann der Broker und der Vermögensverwalter.

Verschleierungstaktik

Die Anleger bemerken die Verluste durch häufige Provisionszahlungen oftmals lange Zeit nicht. Vor allem in guten Börsenzeiten bleibt für den Kunden trotz Provisionsschinderei noch ein Gewinn übrig, wenn auch ein geschmälerter. Solange die Kurssteigerungen größer sind als die Provisionen für die Wertpapiergeschäfte von einem halben bis zwei Prozent des Umsatzes, bleibt das Portfolio im Plus. Anders bei mieser Stimmung an den Börsen. Dann reißen nicht nur die fallenden Kurse das Depot ins Minus, sondern auch die hohen Gebühren für die Bank. Allerdings ist der Verlust fast des ganzen angelegten Geldes bei etablierten Banken selten. "Die Anlageberater sind in der Regel sehr geschickt, wenn es ums Verschleiern der Provisionszahlungen geht", sagt der Berliner Rechtsanwalt Dietmar Kälberer, dessen Kanzlei sich auf Kapitalanlagerecht spezialisiert hat.

Die Provisionsschinderei der Banken fliegt deshalb nur selten auf. Glück für die unehrlichen Banker, denn ihre betrügerische Praxis ist strafbar. Die Abzocke kann aber weder das Strafgesetzbuch noch das Wertpapierhandelsgesetz verhindern. Es verbietet den Beratern Empfehlungen, die nicht mit den Interessen der Kunden vereinbar sind. Solche eigennützigen Offerten zu beweisen, ist ohne die Hilfe eines Sachverständigen nahezu unmöglich

Quelle: Financial Times Deutschland vom 21.05.2002